Erbrecht: Keine Anfechtung bei sog. „lenkenden Ausschlagung“ (BGH Beschluss vom 22.03.2023 Az. IV ZB 12/22)

RAin Krystyna Schurwanz, RAe Dr. Hantke & Partner

In der Regel erfolgt eine Ausschlagung der Erbschaft wegen Überschuldung, die Ausschlagung der Erbschaft kann auch erfolgen, um die Nachfolge nach dem Erbfall zu steuern. In der Entscheidung des BGH vom 22.03.2023 ging es um einen solchen Fall der sog. „lenkenden Ausschlagung“ und der Problematik der Anfechtung dieser Ausschlagung.

Zum Sachverhalt

Der Erblasser ist 2018 verstorben ohne eine letztwillige Verfügung zu hinterlassen. Es ist sodann gesetzliche Erbfolge eingetreten, die Witwe des Erblassers wäre Miterbin zu 1/2 und die beiden Kinder Miterben zu je 1/4. Die beiden Kinder des Erblassers haben aber durch notarielle beglaubigte Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht die Erbschaft fristgerecht ausgeschlagen. Daraufhin hat die Witwe zunächst einen Erbschein beantragt, durch den sie als Alleinerbin aufgrund gesetzlicher Erbfolge ausgewiesen werden sollte. Das Nachlassgerichts wies sodann darauf hin, dass die Witwe gemäß § 1931 Abs. 1 BGB nur Alleinerbin sei, soweit weder Erben der ersten und zweiten Ordnung noch Großeltern vorhanden sein. Nach diesem Hinweis hat ein Kind des Erblassers seine Ausschlagungserklärung durch notariell beglaubigte Erklärung fristgerecht wegen Irrtum mit folgender Begründung angefochten:

„Ich und meine Geschwister haben die Erbschaft ausgeschlagen, weil wir davon ausgingen, dass somit unsere Mutter, (…), Alleinerbin ist und somit auch als Alleineigentümerin der Eigentumswohnung (…) eingetragen wird. Nunmehr erhielt ich Kenntnis darüber, dass durch die Ausschlagungserklärung sämtlicher Kinder unseres Vaters dessen Halbgeschwister erben.

Diese Halbgeschwister sind weder meiner Mutter, meinen Geschwistern oder mir namentlich bekannt. Auch mein Vater hatte zu diesen Halbgeschwistern keinen Kontakt. Erst mit der Mitteilung des Nachlassgerichts (…) erfuhr ich durch meine Mutter am 2. Oktober 2018, dass die Halbgeschwister meines Vaters durch meine Erbausschlagung erben. (…)“

Daraufhin beantragte die Beteiligte zu 1) (Witwe) einen gemeinschaftlichen Erbschein für sie und den Beteiligten zu 2) (Kind 1) als Miterben zu 1/2. Sodann wies das Nachlassgericht darauf hin, dass es die Anfechtungserklärung nicht als wirksam erachte, da es sich um einen unbeachtlichen Motivirrtum handele, und gab Gelegenheit zur Stellungnahme. Hierauf ergänzte der Beteiligte zu 2) seine Anfechtungserklärung durch weitere notariell beglaubigte Erklärung unter anderem wie folgt:

„Bei der Ausschlagung der Erbschaft ging ich davon aus, dass die Erbschaft der übrig bleibenden Miterbin, meiner Mutter, übertragen wird. Mir war nicht bekannt, dass die Erbschaft durch meine Ausschlagung demjenigen anfällt, welcher berufen gewesen wäre, wenn ich und meine Geschwister zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt hätten. (…).“

Ferner erklärten die Beteiligten mit anwaltlichem Schreiben, der Beteiligte zu 2) sei im Zeitpunkt der Ausschlagung der Auffassung gewesen, dass durch seine Ausschlagung und diejenige seiner Geschwister die Erbanteile der Beteiligten zu 1) übertragen würden. Er sei also der Auffassung gewesen, dass diese Erbteile ihr anwachsen würden. Den Erbscheinsantrag hat das Nachlassgericht zurückgewiesen. Das OLG Hamm war der Ansicht, dass der Beteiligte zu 2) nicht neben der Beteiligten zu 1) zu Erbfolge gelangt ist, da er die Erbschaft wirksam ausgeschlagen habe und die Wirkung der Ausschlagung nicht durch seine Anfechtungserklärung beseitigt worden sei.

Die allgemeine Begründung der Anfechtung, der Beteiligte zu 2) habe darüber geirrt, dass neben seiner Mutter noch Erben zweiter Ordnung zur Erbfolge gelangen können, sei aus Rechtsgründen unbeachtlich, da es sich um einen bloßen Motivirrtum handele. In diesen Fällen habe der Ausschlagende nicht über die primäre Rechtsfolge (Verlust der Erbenstellung), sondern über eine weitere, von Gesetzes wegen eintretende Rechtsfolge, nämlich den Anfall bei einer bestimmten Person geirrt. Die Vorstellungen und die Willensrichtung des Ausschlagenden seien für den rechtlichen Maßstab, was als unmittelbare und was als mittelbare Rechtsfolge angesehen werden könne, bedeutungslos.

Leitsatz der Entscheidung

Irrt sich der eine Erbschaft Ausschlagende bei Abgabe seiner Erklärung über die an seiner Stelle in die Erbfolge eintretende Person, ist dies nur ein Irrtum über eine mittelbare Rechtsfolge der Ausschlagungserklärung aufgrund anderer rechtlicher Vorschriften. Ein solcher Motivirrtum berechtigt nicht zur Anfechtung gemäß § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB

Entscheidung

Der BGH hat sodann bestätigt, dass die Wirkung der Ausschlagung nicht durch die Anfechtungserklärung des Beteiligten zu 2) beseitigt worden ist (§ 142 Abs. 1 BGB). Die Anfechtung ist unwirksam, da sich anhand des Vorbringens des Beteiligten zu 2) kein rechtlich beachtlicher Anfechtungsgrund feststellen lasse. Der Beteiligte zu 2) befand sich bei Abgabe der Ausschlagungserklärung nicht in einem allein in Betracht kommenden Irrtum im Sinne des § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB. Ein Inhaltsirrtum kann zwar auch darin gesehen werden, dass der Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen erzeugt, sondern solche, die sich davon unterscheiden. Ein derartiger Rechtsirrtum berechtigt aber nur dann zur Anfechtung, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt (vgl. BGH vom 29. Juni 2016 - IV ZR 387/15, ZEV 2016, 574 Rn. 11; BGH vom 5. Juli 2006 - IV ZB 39/05, BGHZ 168, 210 Rn. 19; st. Rspr.) Dagegen ist der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, kein Irrtum über den Inhalt der Erklärung mehr, sondern ein unbeachtlicher Motivirrtum (BGH vom 29. Juni 2016 aaO; BGH vom 5. Juli 2006 aaO; jeweils m.w.N.).

Wenn sich der Ausschlagende bei Abgabe der Ausschlagungserklärung über die nach seinem Wegfall an seiner Stelle in die Erbfolge eintretende konkrete Person irrt, ist dies nur ein Irrtum über eine mittelbare Nebenfolge der Ausschlagungserklärung aufgrund anderer rechtlicher Vorschriften. Es liegt ein Motivirrtum vor, der nicht zur Anfechtung berechtigt. Dafür sprechen Systematik und Wortlaut des § 1953 BGB. Unmittelbare Rechtsfolgen der Ausschlagung sind danach der Wegfall der Erbenstellung bei dem Ausschlagenden und der Anfall bei einer anderen Person. Wer die Person des Nächstberufenen ist, regelt § 1953 BGB nicht unmittelbar.

Auch der Sinngehalt des Wortes „ausschlagen“ beinhaltet für den juristischen Laien, dass der Ausschlagende nicht mehr Erbe sein will und er durch die Ausschlagung seine Erbenstellung an eine andere Person verliert (vgl. OLG Schleswig ZEV 2005, 526), nicht aber, dass anstelle des Ausschlagenden ein bestimmter Dritter Erbe werden soll.

Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Ausschlagung beruhen nicht auf der Willensentschließung des Ausschlagenden (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2008 - V ZB 150/07, NJW 2008, 2442 Rn. 18), sondern ergeben sich aus § 1953 BGB.
Ferner sei die Einschränkung der Anfechtungsmöglichkeit im Interesse der Rechtssicherheit erforderlich, denkbaren Beweggründe, die Veranlassung zu einer Ausschlagungserklärung geben können, seien zudem unüberschaubar.

Der BGH hat damit eine seit Langem umstrittene Frage geklärt. Wer eine sog. „lenkende Ausschlagung“ erklären möchte, sollte sich genau über die Rechtsfolgen informieren. Zu bedenken ist aber auch, dass bislang unbekannte Erben (z.B. verschwiegene Kinder) auftauchen könnten.

BGH, Beschluss vom 22.03.2023, Az. IV ZB 12/22 (vorgehend: OLG Hamm, Beschluss vom 21.04.2022, Az. 15 W 51/19; AG Essen, Beschluss vom 30.11.2018, 158 VI 2148/18)

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