RAin Krystyna Schurwanz, RAe Dr. Hantke & Partner
Ein Erbschein ist beim zuständigen Nachlassgericht zu beantragen. Sofern der Erblasser im Hospiz verstorben sein sollte, kann es vorkommen, dass das Nachlassgericht dies als gewöhnlichen Wohnsitz des Erblassers ansieht und sich nicht für örtlich zuständig hält.
Hierzu liegt nun eine Entscheidung des OLG Schleswig, Beschluss vom 17.03.2025 3 x W 65/24 vor.
Leitsatz:
1. § 65 Abs. 4 FamFG muss im Erbscheinsverfahren einschränkend ausgelegt werden. Andernfalls käme es zu einem Wertungswiderspruch zu § 2361 BGB, wonach unrichtige Erbscheine einzuziehen sind. Von Rechtsprechung und Literatur wird angenommen, dass ein Erbschein auch dann unrichtig ist, wenn er von einem örtlich unzuständigen Gericht erlassen wird (OLG Hamm, Beschluss vom 22. Juni 2017 – 15 W 111/17 –, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 21. Mai 2013 – 20 W 170/10 –, juris; Müther in: Dutta/Jacoby/ Schwab, FamFG, Kommentar, 4. Auflage 2021, § 65 FamFG Rn. 6.3 jeweils zur Frage der Anwendbarkeit des § 65 im Rahmen des Erbscheinsverfahrens; Herzog in Staudinger zum BGB, Aufl. 2023, § 2361 Rn. 30; Kroiß/Horn, Erbrecht, § 2361 Rn. 6 und 7; Grziwotz in MüKO, 9. Aufl. 2022, § 2361 Rn. 15 zur Frage der Unrichtigkeit des Erbscheins, der durch ein unzuständiges Gericht erlassen wurde.
2. Allein der Wechsel in ein Hospiz ist nicht geeignet, dort den gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen zu begründen, da der Aufenthalt dort – auch wenn er willentlich geschieht und mit einer Rückkehr nicht gerechnet werden kann – in der Regel auf der (palliativ) medizinischen Notwendigkeit beruht, durchschnittlich nur für einen kurzen Zeitraum erfolgt und damit nicht geeignet ist, die erforderliche soziale Einbindung in das Umfeld zu begründen.
3. Wann ein gewöhnlicher Aufenthalt in einem Hospiz begründet wird, ist immer einer Frage des Einzelfalls.
Aus den Gründen der Entscheidung:
„Nach § 343 Abs. 1 FamFG ist das Gericht (für die Erteilung eines Erbscheins) zuständig, in dessen Bezirk der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Eine Definition des Begriffs bzw. Kriterien für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts enthält die Vorschrift nicht. Der gewöhnliche Aufenthalt ist von einem "schlichten" Aufenthalt abzugrenzen, der jegliche tatsächliche Anwesenheit an einem Ort umfasst. Ein solcher "schlichter" Aufenthalt reicht nicht aus, das Kriterium des gewöhnlichen Aufenthalts zu erfüllen.
aa) Bis zum 16.08.2015 richtete sich die Zuständigkeit nach dem Wohnort des Erblassers. Im Rahmen des Inkrafttretens des IntErbRVG wurde die Zuständigkeitsregelung angepasst. Die Änderung diente dem Ziel, eine weitgehende einheitliche örtliche Zuständigkeit der Gerichte für die Erteilung eines Erbscheins und für die Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses nach Kapitel VI der EuErbVO zu gewährleisten. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes ist daher im Lichte der EuErbVO (einheitlich) auszulegen (OLG München Beschl. v. 22. 3. 2017 – 31 AR 47/17, RNotZ 2017, FGPrax 2017, 134). Insoweit sind die Erwägungsgründe 23, 24 der EuErbVO auch im Rahmen der §§ 343, 344 FamFG zur Bestimmung des „gewöhnlichen Aufenthalts“ heranzuziehen (OLG München Beschluss v. 22. 3. 2017 – 31 AR 47/17, a.a.O.). Insoweit ist bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes vorzunehmen. Dabei sind alle relevanten Tatsachen zu berücksichtigen, insbesondere die Dauer und die Regelmäßigkeit des Aufenthalts des Erblassers sowie die damit zusammenhängenden Umstände und Gründe. Maßgeblich ist, wo der Lebensmittelpunkt des Erblassers in familiärer und sozialer Hinsicht liegt.
Neben den objektiven Kriterien sind nach der ganz überwiegenden Auffassung auch subjektive Kriterien heranzuziehen. Dabei soll ein nach außen manifestierter (natürlicher) freiwilliger Bleibewillen reichen (vgl. Gierl in Burandt/Rojahn, Erbrecht, 4. Aufl. 2022, § 343 FamFG, Rn. 9 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung), da andernfalls Fragen des erzwungenen oder willenlosen Aufenthalts nicht zufriedenstellend geklärt werden könnten und die Gefahr der Manipulation des materiellen Erbrechts bestünde (OLG München, Beschluss vom 22.06.2022, 31 AR 73/22, FGPrax 2022, 231, Rn. 5 nach juris).
bb) Nach der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur ist dabei keine bestimmte Mindestdauer notwendig, damit aus einem schlichten ein gewöhnlicher Aufenthalt wird (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 12.09.2019, 6 AR 1/19; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 16.03.2021, 1 AR 4/21; Zimmermann, Erbschein- Erbscheinsverfahren - Europäisches Nachlasszeugnis - D. Zuständiges Gericht Rn. 132, aA KG, Beschluss vom 06.10.2020, 1 AR 1020/20 nach juris, das, zumindest wenn der alte Aufenthaltsort nicht aufgegeben wird, den Aufenthalt von einiger Dauer - z.B. 6 Monate - fordert).
cc) Einigkeit besteht, dass der Aufenthalt in einem Krankenhaus, der in der Regel vorübergehender Natur ist, keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. In Rechtsprechung und Literatur ist indes streitig, unter welchen genauen Voraussetzungen die Aufnahme in einem (Sterbe)Hospiz oder ein Pflegeheim einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Dies wird teilweise bereits dann bejaht, wenn der Wechsel dem Willen des Betroffenen entspricht und mit einem Wechsel an den bisherigen Aufenthaltsort nicht gerechnet werden kann (OLG Celle a.a.O; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 09.11.2020, 1 AR 31/20 (SA Z); Sternal in Sternal, FamFG (vormals Keidel) 21. Auflage 2023, § 3 Rn. 10; Rellermeyer in: Dutta/ÿJacoby/ÿSchwab, FamFG, Kommentar, 4. Auflage 2021, § 343 FamFG Rn. 5). Nach anderer Auffassung wird allein durch die auch willentliche Aufnahme in einem Hospiz kein gewöhnlicher Aufenthalt begründet, auch wenn eine Rückkehr an den bisherigen Aufenthaltsort regelmäßig ausgeschlossen sein wird (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 16.03.2021, 1 AR 4/21 (SA Z); OLG Braunschweig, Beschluss vom 07.02.2022, 9 W 3/ 22, BeckRS 2022, 34523, Rn. 12; Gierl in Burandt/Rojahn, Erbrecht, 4. Aufl. 2022, § 343 FamFG, Rn. 12). Der Aufenthalt im Hospiz, der - entsprechend einer ärztlichen Behandlung in einem Krankenhaus zum Zwecke der Heilung - lediglich dazu dient, bis zum Tod die dort vorhandenen Pflege- und Linderungsmöglichkeiten zu nutzen, reicht danach für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthaltsortes nicht aus, da ein solcher Aufenthalt nicht darauf angelegt ist, soziale Bindungen zu begründen. Der Aufenthalt im Hospiz wird nach dieser Auffassung erst zum gewöhnlichen Aufenthalt, wenn weitere Umstände hinzutreten. Von maßgeblicher Bedeutung können dabei der Aufenthaltswille, die Dauer des Aufenthalts, damit einhergehende oder vorhandene soziale Kontakte und soziale Einbindungen oder die Frage sein, ob die alte Wohnung aufgelöst werden soll. Dabei wird den Umständen im Einzelnen unterschiedliches Gewicht beigemessen. Insbesondere kommt der Frage, ob die Wohnung beibehalten wird, teilweise maßgebliche Bedeutung zu (vgl. Zimmermann, a.a.O. Rn. 135).
dd) Der Senat folgt der Auffassung, dass allein der Wechsel in ein Hospiz nicht geeignet ist, dort den gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen zu begründen, da der Aufenthalt dort - auch wenn er willentlich geschieht und mit einer Rückkehr nicht gerechnet werden kann - in der Regel auf der (palliativ)medizinischen Notwendigkeit beruht, durchschnittlich nur für einen kurzen Zeitraum erfolgt und damit nicht geeignet ist, die erforderliche soziale Einbindung in das Umfeld zu begründen.
Wann ein gewöhnlicher Aufenthalt in einem Hospiz begründet wird, ist immer einer Frage des Einzelfalls. Hier liegen besondere Umstände vor, die diese Annahme rechtfertigen. Der Erblasser hat sich ausweislich des vorgelegten Antrages zur stationären Hospizaufnahme bewusst für die Aufnahme in einem Hospiz in X. entschieden, da sowohl "seine Eltern als auch seine Lebenspartnerin in X. leben" und die dringend erforderliche psychosoziale Begleitung durch den Vater (bzw. die Eltern) erfolgen sollte. Daraus kann - unabhängig von der Frage, ob es diese Lebenspartnerin überhaupt gab - abgeleitet werden, dass der Wechsel nicht nur den äußeren Zwängen der Krankheit geschuldet war, sondern der Erblasser den Ortswechsel nach X. gerade auch im Hinblick auf die sozialen Bindungen (zumindest) zu seinen Eltern und deren Betreuungsleistungen wünschte (vgl. zu einer vergleichbaren Konstellation: Beschluss des OLG München vom 22.06.2022, 31 AR 73/22, Rn. 7 ff. nach juris). Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass es sich bei X. für den Erblasser nicht um eine gänzlich fremde Stadt, sondern um seinen Geburtsort und den Wohnort seiner Eltern handelt. Dass er zuvor rund 10 Jahre in Y. lebte und seine Wohnung in Y. zu seinen Lebzeiten nicht aufgelöst wurde, steht der Annahme eines gewöhnlichen Aufenthaltes in X. nicht entgegen. Insoweit teilt der Senat die Auffassung, dass dem Beibehalt der Wohnung (allein) maßgebliche Bedeutung zukommt, nicht. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Erblasser davon ausgegangen ist, noch einmal in sein Umfeld in Y. zurückzukehren und deshalb die Wohnung in Y. für ihn weiter vorgehalten wurde. Entscheidend ist immer eine Wertung aller Umstände.“
OLG Schleswig, Beschluss vom 17.03.2025 3 x W 65/24
ECLI: ECLI:DE:OLGSH:2025:0317.3X.W65.24.00
