Familienrecht: Hat das „reine Wechselmodell“ zumindest für familienrechtliche Streitigkeiten nur theoretische Bedeutung?

RA Dr. Gottfried Hantke, RAe Dr. Hantke & Partner

Die Kriterien für ein sogenanntes „reines Wechselmodell“ bei der Regelung der persönlichen Fürsorge der Eltern nach einer Trennung für ihre gemeinsamen Kinder dürfte inzwischen (BGH, Beschluss vom 12.03.2014, XII ZB 234/13 sowie zuletzt Kammergericht, Beschluss vom 15.04.2019, 13 UF 89/16) wie folgt geklärt sein:

Es muss – zunächst zeitlich – eine zumindest „fast“ hälftige Teilung der Kindesbetreuung vorliegen. Eine Verteilung 43 % zu 57 % bzw. von 45 % zu 55 % oder sogar von 46,67 % zu 53,33 % reicht nicht aus, um ein „reines“ bzw. wirklich „paritätisches“ Wechselmodell anzunehmen.

Daneben soll aber der „rein zeitlichen Komponente“ auch lediglich eine „Indizwirkung“ zukommen. Selbst bei „fast“ hälftiger – zeitlicher – Teilung soll das Vorliegen eines „reinen“ Wechselmodells zu verneinen sein, wenn es trotz zeitlich „fast“ gleicher Aufteilung der Betreuung dabei verbleibt, dass ein Elternteil immer noch die „Hauptverantwortung“ für das Kind trägt. Ein „reines“ Wechselmodell soll hiernach auch voraussetzen, dass nicht nur zeitlich eine zumindest „fast“ hälftige Aufteilung der Betreuung erfolgt sondern in gleicher Weise auch die „Aufteilung aller organisatorischen Dinge für das Kind“ umfasst ist. Als Beispiele werden insoweit „die Absprache/Organisation von Arztterminen, von Schulveranstaltungen, Freizeitaktivitäten des Kindes sowie Hol- und Bringdienste für das Kind“ genannt (Anmerkung von Born zur vorstehend zitierten Entscheidung des KG vom 15.04.2019 FamRZ 2019, Seite 1322 ff.).

Daneben darf eine wesentliche Rechtsfolge des wirklichen „reinen“ Wechselmodells nicht übersehen werden: Es darf dann kein Elternteil mehr das Kind im Sinne von § 1629 Abs. 2. Satz 2. BGB allein vertreten. Zur Geltendmachung von Kindesunterhalt müsste in solchen Fällen ein Pfleger bestellt werden.

Hiernach dürfte aber die an den Anfang gestellte Frage, ob das „reine“ Wechselmodell für familienrechtliche Auseinandersetzungen – vor allem gerichtlicher Natur – letztlich nur theoretische Bedeutung hat, eindeutig zu bejahen sein. Bei Eltern, die in der Lage sind, auch nach einer Trennung ihre Kinder nicht nur in zeitlicher Hinsicht mit „fast“ gleichen Anteilen zu betreuen sondern daneben auch die „Aufteilung aller organisatorischen Dinge für das Kind“ weiterhin in solcher Weise gleichermaßen zu regeln, dass auch insoweit bei keinem Elternteil mehr eine „überwiegende Verantwortung“ verbleibt, dürfte nicht nur die außerdem für ein „reines Wechselmodell“ erforderliche „Kooperationsfähigkeit und –bereitschaft“ gesichert sein; vielmehr ist auch nicht ersichtlich, weshalb diese Eltern dann ausgerechnet darüber streiten sollten, wie – von ihnen beiden – der Unterhalt für die Kinder aufzubringen sein soll. Oder umgekehrt: Sowie ein Gericht mit dem Sachverhalt befasst werden muss, dürfte zumindest eines der Kriterien dafür, dass wirklich ein „reines Wechselmodell“ anzunehmen sein soll, von vornerein zu verneinen sein.

Aus Vorstehendem sollte demgemäß Folgendes abzuleiten sein:

Der Streit darüber, ob ein wirklich „reines“ Wechselmodell vorliegt – und der in den meisten Fällen auch nur deswegen geführt wird, weil einer der beteiligten Elternteile sich aus diesem Streit eine Entlastung von Unterhaltsverpflichtungen verspricht – ist von vornerein müßig. Denn wenn es Streit gibt, dürfte es schon deswegen von vornerein zumindest an einem der Kriterien fehlen, die für die Annahme eines „reinen“ Wechselmodells Voraussetzung sind. Außerdem müsste – im Hinblick auf § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB – in solchen Situationen regelmäßig erst ein Pfleger bestellt werden. Es ist auch nicht ersichtlich, wie Gesetzesänderungen weiterhelfen sollten bzw. ob solche überhaupt erforderlich sind (Anmerkung von Born zu BGH vom 12.03.2014 FamRZ 2015 Seite 238 ff.). Denn eine angemessene Regelung wird auch von der bisherigen Rechtsprechung schon insoweit aufgezeigt, als eigene zusätzliche Leistungen des barunterhaltspflichtigen Elternteils für dessen Unterhaltszahlungen mindernd berücksichtigt werden können, soweit solche anderweit erbrachten Leistungen dem Kind in solcher Weise zu Gute kommen, dass hierdurch der tatsächliche Unterhaltsbedarf des Kindes zumindest teilweise gedeckt wird. Hierauf sollte man abstellen, statt über Beteiligungsquoten bei der Betreuung der Kinder zu streiten, nur um dann mit einer höheren Beteiligungsquote das Maß der eigenen Unterhaltsverpflichtung zu reduzieren zu versuchen. Beteiligungsquote bei der Betreuung einerseits und Unterhaltshöhe anderseits sollten vielmehr strikt voneinander getrennt werden. Dann wird das Verlangen auf Einräumung einer höheren Beteiligungsquote bei der Betreuung von vornerein auch sehr viel glaubwürdiger. Bezüglich der Höhe der Unterhaltsverpflichtung gibt es dann Möglichkeiten zur anderweitigen Berücksichtigung tatsächlich erbrachter Leistungen, ohne dass dies mit einem Streit über die Beteiligungsquote bei der Betreuung verbunden sein muss.

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