Medizinrecht: Auswirkungen der Aufklärungspflichten auf die Krankenhausvergütung

RAin Krystyna Schurwanz, RAe Dr. Hantke & Partner

Bundessozialgericht, Urteil vom 19. März 2020 (Aktenzeichen B 1 KR 20/19 R)

In einem Vergütungsstreit zwischen einem Hamburger Krankenhaus und der beklagten Krankenkasse blieb offen, ob eine ordnungsgemäße Aufklärung des Versicherten stattgefunden hatte. Der damals 60-jährige Versicherte war an einem Mantelzelllymphom, einer Form des Lymphdrüsenkrebses, erkrankt. Das Landessozialgericht muss nun prüfen, ob der Versicherte, über Chancen und Risiken der bei ihm nach mehr als einjährigem Stillstand der Krankheit durchgeführten Übertragung der Stammzellen eines Fremdspenders (allogene Stammzelltransplantation) ordnungsgemäß aufgeklärt worden war. Der Versicherte starb rund einen Monat nach Durchführung der Behandlung an den Folgen einer Sepsis mit Multiorganversagen.

Die ordnungsgemäße Aufklärung über Chancen und Risiken hat in erster Linie Bedeutung im zivilrechtlichen Haftungsrecht. Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat in einem jetzt veröffentlichten Urteil vom 19. März 2020 (Aktenzeichen B 1 KR 20/19 R) entschieden, dass eine ordnungsgemäße Aufklärung der Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung aber auch dem Wirtschaftlichkeitsgebot diene. Das Wirtschaftlichkeitsgebot erfordert, dass der Versicherte die Entscheidung für die Inanspruchnahme der Leistung auf der Grundlage von ausreichenden Informationen trifft. Die Aufklärung muss dem Versicherten die Spanne denkbarer Entscheidungen aufzeigen, sodass ihm Für und Wider der Behandlung bewusst sind und er Chancen und Risiken der jeweiligen Behandlung selbstbestimmt abwägen kann. Im Sachleistungssystem entscheide letztlich der Versicherte, ob er die ihm ärztlich angebotene, medizinisch notwendige Leistung abruft. Fehle die ordnungsgemäße Aufklärung, kann das Auswirkungen auf den Vergütungsanspruch eines Krankenhauses gegen die Krankenkasse des Versicherten haben. Das Bundesozialgericht entwickelt damit seine bisherige Rechtsprechung fort (BSG Urteil vom 8. Oktober 2019, B 1 KR 3/19 R). Eine ordnungsgemäße Aufklärung sei danach kein bloßer Formalismus. Zwar könne bei Routinebehandlungen im Sinne einer widerlegbaren Vermutung davon ausgegangen werden, dass die Aufklärung ordnungsgemäß stattgefunden hat und Versicherte ihre Entscheidung für die Inanspruchnahme von Krankenhausleistungen auf der Grundlage von ausreichenden Informationen getroffen haben. Das gelte jedoch nicht, wenn mit der Behandlung ein hohes Risiko schwerwiegender Schäden, insbesondere ein hohes Mortalitätsrisiko verbunden ist. In diesen Situationen sei regelmäßig nicht auszuschließen, dass Versicherte bei ordnungsgemäßer Aufklärung von dem Eingriff Abstand genommen hätten. Dies gelte in besonderem Maße, wenn es sich bei der beabsichtigten Behandlung um einen noch nicht dem allgemein anerkannten medizinischen Standard entsprechenden Therapieansatz handelt. Versicherte müssten wissen, auf was sie sich einlassen, um abwägen zu können, ob sie die Risiken einer solchen Behandlung um deren Erfolgsaussichten willen eingehen wollen.

Das Bundessozialgericht hat daher das Urteil des Landessozialgerichts aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

Pressemitteilung des BSG vom 16.04.2020

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